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Das kleine Tal...
Es war einmal ein kleines Tal mit einem tiefen, klaren See,
umgeben von den höchsten Bergen. Kein Weg führte in dieses Tal und nie hatte ein
Mensch es je betreten.
Das kleine Tal schaute sehnsuchtsvoll zu den hohen
Gipfeln hinauf und lauschte den eindrucksvollen Worten, die man dort oben
sprach. Ab und zu hatte das kleine Tal auch schon mal etwas hinaufgerufen, aber
die hohen, stolzen Berge warfen höchstens irritiert einen Blick hinunter, wer
sich da in ihre ach so wichtigen Gespräche einmischte. Eine Antwort gaben sie
nie.
Das kleine Tal mit dem tiefen See war einsam und dachte: "Eines
Tages werde ich auch so groß sein, wie ihr." Und so vergingen viele Millionen
Jahre.
Dann plötzlich in einer Nacht, als das Tal wieder einmal von
hohen Bergen träumte und der tiefe See leise seine Wellen dazu bewegte, kam ein
Engel und sagte: "Morgen kommt GOTT in dieses Tal." Mehr sagte er nicht.
Das kleine Tal war sehr aufgeregt. Was, wenn es gar kein Traum war, wenn
wirklich morgen GOTT käme? Zu ihm, in dieses kleine Tal. Wenn ER zu ihm sprechen
würde und es fragen, ob es einen Wunsch habe. "Ja!, ich möchte so groß sein, wie
diese schönen, hohen Berge um mich herum", hörte das kleine Tal sich sagen.
Der Tag kam, doch nichts geschah. Erst am Abend, als die Sonne schon
unterging, war plötzlich ein Singen und Brausen in der Luft und dann kamen Engel
und schließlich kam GOTT und ging durch das Tal. Das kleine Tal war so
aufgeregt, dass es nicht wagte, auch nur ein Wort zu sagen. Das ganze dauerte nur
wenige Minuten, dann war es vorüber. Aber die letzten Worte, die GOTT zu einem
Engel noch sprach, hatte das kleine Tal gehört. "ICH habe dieses wundervolle Tal
geschaffen für diesen einen Augenblick. Dazu musste ICH extra alle die hohen
Berge drum herum errichten, nur damit es dieses kleine Tal gibt. ICH liebe es
sehr und schaue oft von oben herunter. Und in seinem kleinen, klaren See
spiegelt sich der ganze Sternenhimmel und das Universum und ICH kann mich darin
sehen."
Das kleine Tal war beschämt und weinte dann voller Glück, und
dann dachte es: "Ach ja, ich mag diese hohen Berge zwar sehr, aber sollen sie
doch unter sich bleiben. Wenn sie nicht verstehen, dass sie nur hohe Berge sind,
weil es mich, das tiefe Tal gibt, dann will ich sie auch nicht. Sollen sie doch
zu mir herunter kommen."
Später dachte es noch mit einem kleinen
zufriedenen Lächeln: "Allerdings..., es wäre schon schön, mal den einen oder
anderen Gipfel zu besteigen."
* * *
Der Mann in der Wüste...
Ein Mann irrte durch die Wüste und er wusste, dass wenn man
ihn nicht bald fände, sein Leben zu Ende sein würde. Er fing schon an zu
phantasieren. Dann fiel ihm GOTT ein, an den er nie so recht geglaubt hatte, von
dem es aber hieß, dass er immer da sei, für jeden.
Und er sprach mit krächzender Stimme: "Gott, wo bist Du
denn? Wenn es Dich gibt, warum hilfst Du mir nicht?"
Aber es geschah nichts. Er hatte es auch nicht wirklich
erwartet. Er schleppte sich Meter für Meter weiter, dem Verdursten nahe.
Dann fing er wieder an: "Gott, warum tust Du mir das an?
Wenn es Dich gibt, warum lässt Du zu, dass soviel Unglück in Deiner Welt
geschieht?
Er bekam keine Antwort.
Dann nach weiteren Stunden fing er nochmals an: "Gott, ich
weiß, dass ich hier sterben werde. Aber gib mir nur ein Zeichen, dass Du da bist
und mein Leiden und meinen Tod siehst."
Da bemerkte er plötzlich neben sich Fußspuren, die sich mit
den seinen vorwärts bewegten.
Und eine Stimme sprach: "Ich bin bei Dir."
Der Mann konnte es nicht glauben, aber es war tatsächlich
so, neben ihm ging noch jemand, den er nicht sehen konnte, aber der seine
Fußspuren neben seinen in den Sand drückte.
Irgendwann verlor der Mann das Bewusstsein. Er erwachte in
einer Oase unter Palmen im Schatten, und Wasser einer Quelle plätscherte in der
Nähe. Da erinnerte er sich an den langen Weg und sagte: "Ich habe es also
geschafft."
Dann fiel ihm GOTT wieder ein. Dann erinnerte er sich an
die Fußspuren. Es ließ ihm keine Ruhe und er ging an den Rand der Oase, dort,
woher er gekommen sein musste. Und da sah er, was er erwartet hatte. Es gab nur
eine Spur, die hierher führte. Seine eigene Spur.
Er sagte: "Siehst Du Gott, ich habe Dich nicht gebraucht
und Du hast mir ja auch nicht geholfen. Meine Fußspuren beweisen es, dass Du
nicht neben mir gegangen bist, dass es nur eine Halluzination war."
Da sagte eine Stimme: "Das sind nicht Deine Fußspuren. Ich
habe Dich getragen."
* * *
Der alte Baum...
Es war einmal ein alter, großer
Baum. Irgendwann sagte er zu sich selber: "Ich bin nicht allein, die Sonne
scheint auf mich und gibt mir Kraft, die Erde trägt mich und gibt mir Halt. Und
viele Tiere finden Schutz in meinem Blätterwald und meinem Schatten. Und alle
sehen mich von weitem. Und den Wanderern, die von weit her kommen, gebe ein Ziel
an ihrem Horizont, und mancher verweilt eine Zeit in meinem Schatten, bevor er
weiterzieht. Ich bin so viele tausend Jahre alt und nie allein."
Das sagte der
alte Baum. Aber wohin er auch schaute, in seiner Nähe war kein anderer Baum. Er
hatte eine Ahnung, eine ganz tiefe, ferne Erinnerung, an den Wald und an die
Berührung mit anderen, die ihm gleich waren. Aber das muss lange her gewesen sein.
Da irgendwo in der Ferne, da waren die Wälder und da waren die anderen. "Nein,
ich bin nicht allein, sie sind alle da", sagte er.
Dann aber kam ein kleiner Gedanke
und fragte: "Aber wie können wir dorthin kommen, da, wo die anderen sind?" Der
alte Baum dachte lange nach, es dauerte viele, viele Jahre, bis er die Antwort
fand. "Ich schicke Dich dorthin, meinen Gedanken." Und nach einer Weile fügte er
hinzu: "Und ich brauche dazu meinen Freund, den Wind. Ich werde ihn fragen."
Bald darauf kam ein heftiger
Sturmwind auf, der über das Land fegte und er nahm die Blätter von dem alten
Baum mit und trug sie hierhin und dorthin und manche kamen später mit dem Wind
auch wieder zurück und lagen zu den Füßen des alten Baumes und erzählten ihm,
was da in der Ferne war. "Wir sind nicht allein."
Manchmal fühle ich mich, wie
ein Blatt im Wind, das überall hin geweht wird. Und ich will diese langen Reisen
machen, für meinen Baum. Ich bin der kleine Teil, den er ausgesandt hat, um die
Welt zu erkunden. Und irgendwann darf ich wieder zu ihm zurück und werde zu
seinen Füßen liegen und wieder zu einem Teil von ihm.
Ich bin nicht allein. Ich bin ein kleines Blatt im Wind
und in der großen Welt.
* * *
Der Priester...
Ein junger Priester, der von seinem Glauben vollständig
erfüllt war, wurde einst zu einem kranken, sterbenden Kind gerufen. Er kannte
dieses Kind und liebte es sehr, mehr als die anderen Kinder seiner Gemeinde. Und
er sah das unendliche Leid der Mutter. Er betete zu GOTT: "Herr, ich gebe Dir
alles, nimm mir das Liebste, das ich habe, aber gib diesem Kind das Leben."
Das Kind wurde gesund. Der Priester zog eines Tages fort an
einen anderen Ort. Dort sah er viel Leid und Elend. Sein Leben wandelte sich. Er
wurde selber krank, verfiel dem Wein und der Völlerei und mancher Lust. Er übte
sein Priesteramt nur noch schlecht aus. Sein Glaube wurde kleiner und kleiner
und bald glaubte er an nichts mehr, nur noch an den Tod und das Nichts danach.
Als er altgeworden auf dem Sterbebett lag, und ein junger Priester kam, um ihm
die letzten Sakramente zu geben, konnte er nicht einmal dafür dankbar sein und
wandte sich ab.
Aber als er tot war, sah er sich auf einem Weg zu einem
Licht und erinnerte sich wieder. Als er an das Himmelstor kam, empfing ihn ein
Engel mit solch großer, unausprechlicher Würde, dass er nicht wagte, ihn
anzuschauen. "Wir haben schon lange auf Dich gewartet",
sagte der Engel. Der Priester stammelte leise voller Angst, Demut
und Reue: "Ich weiß, und ich bin bereit, für meine Sünden zu büßen und ins
Fegefeuer zu gehen."
"Nein", sagte der Engel. "Ich habe den Auftrag, Dich zu IHM
zu bringen, zu GOTT selber."
"ER wird Gericht über mich halten wollen", sagte der
Priester. Doch der Engel schwieg.
GOTT aber sagte zu ihm: "Du hast mir damals aus Liebe einen
Tausch angeboten und ich habe das genommen, was Du mir angeboten hast. Das
Liebste, was Du hattest, Deinen Glauben. Alles, was Du danach getan hast, das
tatest Du auch für mich, denn alles bin ich selber und alles geschieht in mir.
Und nun ist alle Schuld bezahlt. Gehe hin in Frieden."
Der Priester erwachte aus einem Traum und befand sich wieder auf dem
Sterbelager. Er stand auf und statt nur zu glauben, hatte er Gewissheit in sich.
Er lebte noch viele Jahre und gab all das weiter an die, die nach GOTT suchten.
* * *
Der arme Holzfäller...
Klugheit oder Weisheit? Ein armer Holzfäller machte sich
nach einem langen Arbeitstag auf den Heimweg. Er war müde und hungrig. Als er an
eine Stelle im Wald kam, wo der Weg durch eine Furt eines Baches geht, sah er
dort ein altes Weib auf einem klapprigen Fuhrwerk mit einem Ross davor, das sich
vergeblich mühte, aber nicht vorankam.
Die Alte schaute mürrisch und rief
dem Holzfäller zu, er solle ihr doch helfen. Der schaute, legte schweigend seine
Axt und seinen Beutel beiseite und stieg in das knietiefe Wasser. Ein Rad hatte
sich zwischen den Steinen verklemmt und so sehr er sich auch anstrengte, er
bekam es nicht frei.
"Warte einen Augenblick...", sagte er. Er nahm seine Axt
und ging etwas in den Wald hinein, zu einer Stelle, die er kannte, wo junge
Bäume standen, so dick nur, wie seine Arme. Einen davon wählte er aus und fällte
ihn mit der Axt. Dann ging er zu der Alten mit ihrem Fuhrwerk zurück. Dort
setzte er den Stamm als Hebel unter das Rad und konnte es mit großer Anstrengung
anheben. Das Ross spürte, die Bewegung und strengte sich ebenfalls an und bald
war das Fuhrwerk wieder frei und aus der Furt heraus.
"Komm her!" rief die Alte, "ich will Dich belohnen". Der
Holzfäller schaute und sagte: "Ich hab es nicht für einen Lohn getan". Da
verwandelte sich die Alte in eine wunderschöne Fee mit einem prachtvollen Wagen
und einem starken Ross davor. Sie wies auf das Fuhrwerk, auf dem einige Säcke
standen, auf denen etwas geschrieben war, aber der Holzfäller war ein einfacher
Mann und konnte nicht lesen. Und die Fee sagte: "Das ist Klugheit, ich habe die
Aufgabe, sie überall hinzubringen, wo sie nötig ist. Und das sind nicht wenige
Orte. Nimm Dir davon, soviel Du willst. Sie kann Dir viel nützen in dieser
Welt."
Der Holzfäller erwachte aus seiner Starre und begriff, dass
er soeben Zeuge eines Zaubers war. "Warum hast Du Dich und Deinen Wagen nicht
selbst befreit, wo Du doch eine Fee bist?" "Dann hätte ich Dich nicht hier
getroffen", antwortete sie. Der Holzfäller schaute und konnte sich nicht
entscheiden. Er sah noch ein kleines Säckchen, in dem nur wenig war und deutete
darauf. "Und was ist das dort?" "Oh!", sagte die schöne Fee, "das ist nur
Weisheit, damit kannst Du in dieser Welt nicht viel anfangen, aber um so mehr in
Deinem Herzen." "Dann nehme ich davon etwas", sagte der Mann. "aber erst will
ich noch diesen gefällten Stamm zurückbringen, an seinen Ort und den Bäumen dort
danken."
Die schöne Fee erstrahlte erneut in noch hellerem Licht und
sagte: "Du hast schon bekommen, was Du gewählt hast." Und schon war der ganze
Zauber vorbei. Die schöne Fee samt Ross und Wagen waren verschwunden. Und der
Holzfäller wunderte sich noch mehr und verstand nun gar nichts mehr. Er sagte
nur leise: "Vielleicht hätte ich doch lieber Klugheit nehmen sollen?"
Als
er dann müde und erschöpft an seiner Hütte ankam, lief ihm schon sein Weib
entgegen, mit dem Töchterchen an der Hand. "Hast Du den Wagen mit der alten Frau
gesehen?", fragte sie. Nein, der Holzfäller hatte ihn nicht gesehen. "Schau, was
sie gebracht hat.", sagte die Frau. Und es waren Säcke voll mit Getreide und
Kartoffeln und Mehl und vielem anderen. "Wir haben genug für lange Zeit, und
müssen nicht hungern.", sagte die Frau. Der Holzfäller schaute schweigend und
fühlte die Wärme seines Herzens. Und er beschloss, niemandem seine Geschichte
von der Fee zu erzählen, auch seinem Weib nicht.
* * *
(wird fortgesetzt) |